Warum nur eine(n) lieben, wenn man sie alle haben kann? "Schlampen mit Moral" ist zurück (Buchrezension)

Das Buch füllt Wissenslücken da, wo Schule und Pornos versagten: Swinger-Clubs, offene Beziehungen, Mythen und Vorurteile, Tantra und Gangbang - das fast schon Lehrbuch für Erwachsene, "Schlampen mit Moral", erhielt kürzlich eine erweiterte Neuauflage.

Das Buch "Schlampen mit Moral" gibt auf über 330 Seiten interessanten Einblicke.


Es ist schon ein paar Wochen her, als mich der mvg-Verlag angeschrieben hatte, ob ich nicht eine Buch-Rezension für sie verfassen möchte. Cool. Jetzt bin ich Influencer, so mein Gedanke. Lieber wäre mir natürlich gewesen, Tesla, Apple oder Haas Fertigbau hätten mich angeschrieben um mir ihre Produkte zu überlassen - aber man muss klein anfangen.

Hätte mich das Thema nicht interessiert, hätte ich auch gesagt: "Sorry, tschüss." Aber Beziehungen, Sexualität und gesellschaftliche Abweichungen sind einfach Themen, wo ich gerne mal die Nase reinstecke. Vor allem, wenn sie von Menschen geschrieben werden, die nicht nur entsprechende persönliche Erfahrungen auf dem Gebiet sammelten, sondern sich damit über Jahrzehnte auch beruflich auseinandergesetzt haben. Aus irgendwelchen völlig verrückten Gründen schenke ich solchen Leuten mehr Vertrauen, als den Spruchbildchen-Kommentatoren auf Facebook, die lediglich auf der "Schule des Lebens" ihren Abschluss gemacht hatten.

Das Buch, das mir der Verlag schließlich zugeschickt hat - und wofür ich den Entscheidungsträgern auch sehr dankbar bin - trägt den unaufgeregten Titel: "Schlampen mit Moral" von Dossie Easton und Janet W. Hardy. Und weil ich kein Emoji-Vorschaubild-Youtuber bin, möchte ich auch gleich entsprechend transparent sein: Das Buch wurde uns/mir kostenlos zugeschickt. Ich wurde dafür nicht extra bezahlt. Es hieß lediglich dazu (paraphrasiert): "Wenn Ihr das Buch gelesen habt und es euch gefällt, würden wir uns darüber freuen, wenn Ihr in eurem Podcast darüber sprecht." Diese Folge wird demnächst aufgezeichnet und ist dann in dem Feed des Podcasts "Offene Beziehung" von meiner Frau und mir auf diversen Plattformen zu hören. Man ahnt jetzt auch, warum ein solcher Buchtitel eher in unserem Briefkasten landet, als ein Maserati. Was aber auch vollkommen okay ist.

Monogamie nicht verteufeln - aber auch nicht heilig sprechen

"Wer träumt nicht davon, Liebe, Sex und Freundschaft im Überfluss zu genießen?" Nein, damit möchte ich nicht auf eine völlig überteuerte Dating-App aufmerksam machen, deren Geschäftsmodell darauf basiert, dass Leute möglichst lange keine Beziehung bekommen (ja, denkt mal genau darüber nach), sondern ist der erste Satz des in einer überarbeiteten und erweiterten Neuauflage erschienenen Werkes "Schlampen mit Moral".

Der Begriff "Schlampen", das wird sehr früh definiert, soll in diesem Buch als etwas positives besetzt werden. Sie verwenden es für eine Person "beliebigen Geschlechts, die ihre Sexualität nach dem radikalen Motto auslebt, dass Sex schön ist und Genuss guttut." Tatsächlich verliert der eigentliche negativ behaftete Ausdruck von Seite zu Seite seine - im eigenen Kopf haftende - beleidigende Wirkung und wird quasi das genderneutrale Pendant zum männlich besetzten "Hengst".

Mit wissenschaftlichem Hintergrundwissen, eigenen Erlebnissen und zahlreichen Beispielen von früheren Weggefährten und Patienten räumen die beiden Autorinnen nicht nur mit Mythen, Vorurteilen und Freiheits-Definitionen auf. Sie geben - inhaltlich aufeinander aufbauend - neue Sichtweisen auf (teils extrem veraltete) bekannte Denkmuster, erklären verschiedene Formen der sexuellen Entfaltung, zeigen auf, was Eifersucht ist und wie man seinen Weg daraus findet, stellen die Notwendigkeit von Regeln und Vereinbarungen dar, bringen einem Begriffe näher wie "Sexuelle Ökonomie" oder "Präexpositionsprophylaxe" (klarer Siegbringer bei Scrabble, würde ich sagen). 

Und das alles, ohne die klassischen Beziehungsmodelle und das Prinzip der Monogamie schlecht zu reden. Ganz im Gegenteil, auch diese Formen werden auf ihre positiven Grundlagen hin betrachtet und fehlen bei keiner Aufzählung. Weil es sie auch gibt - und nicht nur.

Wer treu ist, muss nicht gleich immer treu sein

Beispiel: Was ist Treue? Wie definiert sich Treue? Setzt euch mal beim nächsten Kaffeeklatsch mit fünf Freunden zusammen und stellt diese Frage - ihr werdet ein abendfüllendes (Streit-)Gespräch führen. Denn für jeden ist "Treue" etwas anderes. Die einen haben kein Problem damit, wenn ihre Partnerin den besten Freund sehr lange zur Begrüßung umarmt, bei anderen eskaliert der Schädel bereits, wenn man auf einem "falschen" Instagram-Bild auf das digitale Like-Herzchen drückt.

Man lernt in diesem Buch, dass es unter anderem einen enormen Unterschied zwischen sexueller und emotionaler Treue gibt (das für sich ist schon fast ein Verkaufsargument). Wie wichtig Absprachen sind (und vor allem das Einhalten jener), behandelt Traumata, zeigt, dass der Begriff "Romantische Liebe" nicht zwingend wie in Hollywood-Filmen mit Meg Ryan auszusehen hat und nimmt Leserinnen, Leser und LesX an die Hand um neue Wege, neue Ansichten und auch eine gewisse "neue Neugier" zu entdecken.

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Fazit: Meine Meinung kann man nicht kaufen. Würde ich es Mist finden, würde ich es sagen. Aber tatsächlich sollten es die Menschen lesen. Wir haben hier eine modernisierte Neuauflage des Werks zweier Frauen, die unfassbar offen ihre persönliche kleine Pionier-Arbeit leisten, dabei aber auch andere Pioniere und Wegbereiter benennen und zitieren (falls man etwas genauer nachprüfen möchte). Sie wissen, dass sich eine Gesellschaft verändert und entwickelt und versuchen, ein paar Wegweiser für die alte und junge Generation auf den Weggabelungen der Intimitäten zu platzieren.

Das Buch "Schlampen mit Moral" in der 1. Auflage der erweiterten Neuauflage von 2020 dient nicht nur dazu, sein Wissen und seinen geistigen Horizont in Sachen Liebe, Sex und Zärtlichkeit zu erweitern. Es hat auch durch die sauberen Strukturen und Kapitel-Unterteilungen eine klare Nachschlagewerk-Funktion. "Wie war das mit den Gruppensex-Anstandsregeln gleich nochmal? Ah, hier ...Seite 301." 

Ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand dieses Buch lesen kann ohne danach einen klaren Mehrwert daraus ziehen zu können. 


"Schlampen mit Moral" von Dossie Easton und Janet W. Hardy erschienen im mvg-Verlag.

ISBN 978-3-7474-0189-7 (Print) | ISBN 978-3-96121-604-8 (E-Book, PDF) | ISBN 978-3-96121-605-5 (E-Book, EPUB, Mobi)

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