Review: Qualityland

Foto: Screenshot qualityland.de


»Es tut mir sehr leid«, sagt das Auto, »aber neue Versicherungsrichtlinien haben Ihr Stadtviertel als zu gefährlich für selbstfahrende Autos meiner Qualität eingestuft. Sie werden sicherlich verstehen, dass ich Sie darum bitten muss, hier auszusteigen.«
»Hä?«, fragt Peter eloquent.
»Aber das müsste Ihnen doch bekannt sein«, sagt Carl. »Sie haben doch vor 51,2 Minuten die neuen AGB Ihrer Mobilitätsflatrate bekommen. Haben Sie die Vereinbarung nicht durchgelesen?«
Peter sagt nichts.
»Zugestimmt haben Sie jedenfalls«, sagt das Auto. »Es wird Sie aber sicherlich freuen, dass ich für Ihre Bequemlichkeit einen Grenzpunkt gewählt habe, der es Ihnen bei Ihrer durchschnittlichen Geschwindigkeit erlaubt, Ihr Zuhause in nur 25,6 Minuten zu Fuß zu erreichen.«
»Toll«, sagt Peter. »Wirklich toll.«
»War das ironisch gemeint?«, fragt das Auto. »Ich muss zugeben, ich habe immer mal wieder Probleme mit meinem Ironiedetektor.«
»Kaum zu glauben.«
»Das war jetzt ironisch, nicht wahr?«, fragt das Auto. »Dann war Ihre Freude soeben auch nicht ernst gemeint, oder? Haben Sie keine Lust zu laufen? Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen ein Auto minderer Qualität rufen, das der neuen Einstufung Ihres Stadtviertels entspricht. Ein solches Auto könnte in 6,4 Minuten hier sein.«



Mark-Uwe Kling hat vor einigen Jahren dank eines sprechenden Kängurus den Sprung in Deutschlands Unterhaltungs-Elite geschafft. Seine dreiteilige Roman- ... oder sagen wir besser - Hörbuchreihe schaffte unter Fans sogar etwas, wovon manch Kollege immer träumt: Textpassagen gingen in den allgemeinen Sprachgebrauch über. Wie gesagt: zumindest unter Fans. Aber das sind ohnehin bürgerliche Kategorien, gelten sie doch im Grunde lediglich als gegenseitiges Erkennungsmerkmal. Hat der Typ eben "Razupaltuff" gesagt? Cool, ein Insider.

Nachdem er sich in der Serie zu "Die Känguru-Chroniken" unter anderem auf sarkastische und satirische Art mit der Dummheit und den Problemen der heutigen Gesellschaft beschäftigt (Rechtsextremisten), befasst sich sein aktuelles Werk "Qualityland" unter anderem mit der Dummheit und den Problemen der Zukunft (Rechtsextremisten). Okay, zugegeben, diese spielen jeweils nur eine Nebenrolle, tragen aber sehr zur Unterhaltung bei.

Wie "Black Mirror" - nur lustiger geschrieben

"Qualityland" ist im Grunde eine konsequent zu Ende gedachte Dystopie über die digitalisierte Gesellschaft, die durch Algorithmen gelenkt, beeinflusst und definiert wird. Basiert der Algorithmus auf meinen Entscheidungen - oder ist es nicht doch eher umgekehrt?

Unser Protagonist heißt Peter Arbeitsloser (der Nachname definiert sich in Qualityland über den Beruf des Vaters zum Zeitpunkt der Zeugung). Peter lebt als selbstständiger Maschinenverschrotter in Qualityland. Man könnte sagen, er gehört zur unteren Gesellschaft. Schließlich ist er nur ein Bürger des Levels 9. Und man muss mindestens zweistellig sein, wenn man sich im Ansatz Chancen auf eine halbwegs gute Wohnung, einen Job und entsprechenden Freundeskreis machen möchte. Allerdings bemüht er sich auch nicht besonders darum, seine Kategorisierung durch Sport, gesellschaftliches Engagement, Erwerben weiterer Fähigkeiten, usw. nach oben zu korrigieren. Wer sich jetzt an eine Folge "Black Mirror" erinnert fühlt: haste recht. Im Grunde ist "Qualityland" die satirische Variante von "Black Mirror". 

Wir sagen dir, was du willst.

Ebenso wie in der durch Netflix bekannt gewordenen Serie, ist auch in dem (Hör-)Buch das wahrlich Beängstigende, dass es gar nicht mehr wirklich nach Zukunft klingt. Eher nach "nächstes Entwicklungslevel". Das größte soziale Netzwerk "Everybody" beispielsweise erstellt automatisch Profile und sammelt Daten auch von Personen, die gar nicht registriert sind. Gleiches ist bei Facebook ja bereits Praxis. Zwar nur was Orte, Geschäfte oder eine Auswahl von Prominenten betrifft, aber die Technik ist da. Auch genetisch optimierte Babys mit prognostiziertem Lebenslauf während der Ultraschall-Untersuchung dürfen natürlich nicht fehlen. 

Und der Präsidentschaftskandidat, der gegen einen Androiden zur Wahl antritt, erklärt alle Tatsachen, die gegen sprechen als "Lüge", hatte eigener Aussagen nach die aller beste beste und erfolgreichste TV-Show jemals aller Zeiten und seine Anhänger sind zwar nicht zwingend in der Mehrheit, aber dafür brüllen sie am lautesten. Außerdem gewinnt er die TV-Duelle, da er unterhaltsamer wirkt, als sein künstlich intelligenter, auf Fakten basierend argumentierender Gegenkandidat. Außerdem sei auch niemand weniger rassistisch in der Geschichte der Menschheit gewesen, als er selbst, aber Ausländer haben in Qualityland einfach nix verloren, da sie faul sind. Und vergewaltigen. Und überhaupt Terroristen seien. Ähnlichkeiten zu  aktuellen US-Präsidenten sind natürlich nur rein zufällig. Fakt!!!

Näher an der Gegenwart als an der Zukunft

Egal ob Online-Großhändler, die dich per Drohne beliefern, bevor du überhaupt selbst weißt, dass du etwas willst, Partnerbörsen, die dir sagen, wen du willst, auch wenn du glaubst, jemand anderen zu mögen oder personalisierte Werbungen und Wahlprogramme, die genau auf deinen Algorithmus zugeschnitten wurden und individuell auf die jeweiligen Ansichten und Bedürfnisse optimiert sind: im Ansatz finden wir das alles bereits.

Natürlich werden wir von Amazon nicht beliefert, bevor wir selbst wissen, dass wir es wollen. Obwohl uns online Kaufvorschläge gemacht werden, die nicht selten nah am eigenen Bedürfnis sind. Aber Amazon hat seinen Algorithmus inzwischen soweit ausgebaut, dass zahlreiche Waren bereits zu Versandlagern geliefert werden, bevor sie überhaupt von jemandem bestellt wurden, weil vermutlich es mindestens einer bald bestellen wird. Das klingt jetzt vielleicht aus der Luft gegriffen, ist aber tatsächlich bereits Praxis. Dieses "anticipatory shipping" basiert schlichtweg auf der hohen Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Bestellung kommt und ist bereits patentiert. Einen Bericht dazu findest du hier.

Marc-Uwe Kling - beziehungsweise der Protagonist Peter - halten uns den virtuell-gesellschaftlichen Spiegel einer nahen Zukunft vor Augen. In gewohnt witziger und intelligenter Form wird uns keine Science Fiction vorgelegt, sondern nicht weniger als eine überspitzte aber logische Fortführung der aktuellen Geschehnisse. Und vor allem der Frage: was ist eigentlich, wenn die Maschinen einen Fehler gemacht haben - und das Leben, das ich führe gar nicht mein Leben sein sollte? Das Buch ist eine absolute Empfehlung für kurzweilige und bissige Unterhaltung.

Außerdem wird auf völlig übertriebene Schwarzmalerei verzichtet. Ich meine, wer glaubt denn bitte ernsthaft, dass - wie in der Filmsatire "Idiocracy" von 2006 - die Amerikaner so doof sein könnten, einen Ex-Wrestler zum Präsidenten zu machen. Oh.