GroKo 2018: Kein' Bock auf digitale Entwicklung

Foto: EFF Fotos // CC-Lizenz
Die Bundesregierung - also die, die es mal werden soll - hat sich ganz hohe Ziele gesetzt, wenn man dem Koalitionsvertrag vom Februar 2018 glauben schenken will. "Die Digitalisierung bietet große Chancen für unser Land und seine Menschen. Chancen für Wohlstand und sozialen Fortschritt. Unsere Aufgabe ist es, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit jeder daran teilhaben kann. Angesichts der Dynamik der Veränderung müssen wir große Schritte wagen, um an die Spitze zu kommen. Wir wollen unser Land in allen Bereichen zu einem starken Digitalland entwickeln", heißt es dort (Zeilen 1603-1609). Klingt super. Na ja. Klingt.

Dazu sollen unter anderem auch die sagenumwobenen 5G-Lizenzen versteigert werden. 5G, das ist die 5. Generation des drahtlosen Netzes - also der LTE-Nachfolger. Erinnert Ihr Euch noch? Es wurden unter Finanzminister Eichel (hihi) damals die UMTS-Lizenzen versteigert. 98,8 Milliarden (!) Mark zahlten die Unternehmen am Ende. Und jetzt ratet mal, von wem man es sich schließlich durch viel zu teure Handy-Verträge (und übertrieben langes Klammern an der bald überholten Technik) das Geld am Ende wiedergeholt hat? Kleiner Tipp: Im Badspiegel siehst du diese Person. Was also den mobilen Datenstandard für Einzelpersonen betrifft, bleiben wir auch die nächsten Jahre noch Schlusslicht in Europa. Geil. 

Schneller als 56k-Modem ist schnell genug

Aber hey, ab 2025 hat dann jeder einen rechtlichen Anspruch auf schnelles Internet. Nun gut, kein Schwanz hat auch nur mit einem Wort definiert, ab wann Internet als schnell gilt. Außerdem: 2025? Also gegen Ende der nächsten, noch nicht gewählten Bundesregierung? Vielleicht wissen wir also doch, wie der Begriff "schnell" von der aktuellen GroKo definiert wird. In acht Jahren entwickelt sich die Digitalgesellschaft ja zum Glück kaum. Oh, und Glasfaser muss flächendeckend bis ins letzte Kaff verfügbar sein. Bevor Oma Hilde jetzt aber gleich völlig ausflippt, weil sie endlich "Black Mirror" ohne Unterbrechung streamen kann, solltet ihr wissen: a) wir reden immer noch von 'bis 2025' und b) muss - und das ist jetzt der beste alle Scherze - das Glasfaser nur bis zum Verteilerkasten gelegt sein. Von da weg, bis zur maroden und überteuerten Mietwohnung reicht dann die KupferleitungDu kannst deinen offenen Mund jetzt wieder schließen.

Ein Satz, der mir besonders aufgefallen ist: "Die Vermittlung von digitalen Fähigkeiten als Schlüsselkompetenz für alle Altersgruppen," (Zeile 1613) ist eines der Vorhaben, mit der man "an die Weltspitze im Bereich der digitalen Infrastruktur" gelangen möchte (kein Witz, das ist tatsächlich wortwörtlich eines der Ziele, Zeile 1630). Schauen wir doch mal auf die Kinder. Schließlich sind sie die "digital natives", als jene Generation, die in eine digitalisierte Welt hineingeboren werden. Was hat man da für bahnbrechende Wege gefunden, um die Experten von Morgen richtig zu fordern und zu fördern? Ich zitiere mal ab Zeile 1167:

Willkommen bei "Wünsch dir was"

"Deshalb werden wir unsere Schulen im Rahmen des gemeinsamen Digitalpaktes Schule von Bund und Ländern so ausstatten, dass die Schülerinnen und Schüler in allen Fächern und Lernbereichen eine digitale Lernumgebung nutzen können, um die notwendigen Kompetenzen in der digitalen Welt zu erwerben." Alle Schulen bekommen also mindestens einen Computer, mit dem man über "schnelles Internet" Wikipedia und die Schul-Cloud aufrufen kann. Klingt jetzt übertrieben schwarzmalerisch ... aber genau damit wäre dieses Ziel als "erfolgreich" zu verbuchen. Aber sicherlich wollen sie bei weitem deutlich mehr damit erreichen, haben es nur nicht richtig formulieren können. (Gibt es ein Ironie-Emoji?") 


So setzt man also seine ganzen Trümpfe auf die Jugend und die digitale Entwicklung eines der reichsten Länder der Welt. Wie sieht eigentlich die Kombination aus? Schulbildung in Sachen Digitalwelt für Kinder und Jugendliche? Mehr als jede Generation zuvor, wird genau das nämlich ihren kompletten Alltag bestimmen? Passend dazu, hat Zeit Online heute einen Artikel in dieses Internetz gestellt. Es geht um den "Stundenplan für morgen", wie sich die schulische Entwicklung der rasanten gesellschaftlichen anpasst. Spoilerwarnung: kaum.

Damit die 13jährige auf das Leben in sozialen Netzwerken vorbereitet wird, gibt es ... moment, ich blättere mal den umfangreichen Katalog durch ... öhm ... ja, hier haben wir es: nix. Oder fast nix. Wie die "Zeit" vermeldet, gibt es in Bremen beispielsweise das Schulfach "Medien" auf Antrag, in Baden-Württemberg den Basiskurs "Medienbildung" und in Hamburg als Wahlpflichtfach an manchen Schulen ebenfalls "Medien" zur Auswahl. Kann man wählen, muss man aber nicht. Supi. Soziale Netzwerke sind ja nur ein Standardmedium geworden. Scheiß doch da drauf. Ebenso wie auf eine flächendeckende Einführung des Schulfachs "Programmieren". Wird zwar hier und da im Informatikkurs mit eingebunden, ist aber deutlich unterrepräsentiert, bedenkt man die weltweite Entwicklung.

Digitale Bildung umständehalber abzugeben

Wenn man sich vor Augen hält, wie überfordert wir Erwachsenen trotz unseres über Jahre hinweg (oft teuer) entwickeltem Misstrauen sind, wir zu differenzieren und einschätzen erlernen mussten und das obwohl diese digitale Entwicklung neben unserer eigenen mit geschah, ist es eine Frechheit, was wir von unseren Kindern verlangen. Sie werden in das fertige Chaos,die Gefahren und die digitalen Schlachtfelder voll mit Tellerminen geworfen und werden nicht darauf vorbereitet. Während im Grundschulalter der gesetzliche Anspruch auf Ganztagsbetreuung etabliert wird (also, bis 2025 - haha), um Eltern wieder in den Beruf zurück zu helfen, wird unsere Zukunft vor den eskalierenden Trümmern unserer verpassten Gelegenheiten zurückgelassen und unbewaffnet in den internationalen Wissenskampf geschickt. 

Halt, einen kleinen geistigen Dünnpfiff hat man im Koaltionsvertrag unter Zeile 1742/43 doch noch als Motivation eingebaut: "Wir werden in einem jährlichen Wettbewerb besondere Medien- und Digitalbildungsprojekte auszeichnen." Die Fähigkeiten für solche Wettbewerbe, müssen sich halt die Schüler dann irgendwie selbst aneignen. Na, da wird man sicherlich auf bahnbrechende Erkenntnisse stoßen.

Sagen wir, wie es ist: geil ist anders. Zukunft ist anders. Digitalisierung ist anders. Die große Mehrheit wird im besten Fall im unteren Mittelfeld mitdümpeln und sich ein Loch in den Bauch freuen, wenn ihr mobiles Datenvolumen von 6 auf 10 GB erhöht wird, ohne dann die 39,- Vertragsgebühren überschritten werden. Europäischer Spitzenreiter ist aktuell in dem Bereich übrigens Finnland. Für 30 Flocken haste da 50 GB, plus Flatrate & Co. Die Kinder wirds freuen. Wenn sie schon nicht auf das Leben nach dem schulischen Tod vorbereitet werden, können sie unterwegs wenigstens Netflix streamen und sich ablenken. 


Oder wie es der Musiker Rockstah passend in seinem Song formuliert: "Verschwende deine Jugend, haben sie gesagt. Verschwende deine Jugend - und wir haben es getan."